Die Ravens-Offense rund um Lamar Jackson (#8) wird 2023 ein neues Gesicht zeigen.
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Die lauflastige Ravens-Offense war in den letzten vier Jahren unter Offensive Coordinator Greg Roman ein absolutes Individuum in der ansonsten passfreudigen NFL. Jetzt haben die Verantwortlichen in Baltimore aber einen Paradigmenwechsel angekündigt. Für Roman wird der ausgewiesene Passspiel-Experte Todd Monken übernehmen. Da stellt sich die Frage: Was können wir von Lamar Jackson und Co. erwarten, wenn die Ravens-Offense in diesem Herbst das erste Mal den Rasen betritt? TOUCHDOWN24 begibt sich auf Spurensuche.


„Weniger laufen und mehr passen.“ Das ist es, was Lamar Jackson denkt, wenn man ihn in diesen Wochen darauf anspricht, was er von seiner Ravens-Offense im Jahr 2023 erwartet. Eine Offense, die unter Greg Roman über Jahre hinweg quasi maßgeschneidert auf das Skillset des 26-Jährigen war, sich jetzt aber unter dem neuen Offensive Coordinator Todd Monken in gänzlich neuen Fahrwassern bewegt. Der Gedanke, dass Jackson in der kommenden Spielzeit bedeutend mehr passen wird, als wir es gewohnt sind, wird in den USA nicht ohne Gespött aufgenommen, doch die Spötter sind dieselben Leute, die nach wie vor dem nicht nachweisbaren Glauben abhängen, der MVP aus der Saison 2019 sei nicht mehr als ein glorifizierter Runningback.

Dabei hat uns Jackson in dieser Saison, in der er übrigens die Liga in Passing-Touchdowns anführte, hinlänglich gezeigt, dass er deutlich mehr als das ist. Seit dem Jahr 2019 liegt Jackson mit einem PFF-Grade von 79,7 in den Top 15 aller Quarterbacks mit mindestens 1.000 Dropbacks. Seine Big-Time-Throw-Rate von 5,1 Prozent ist in diesem Zeitraum die siebtbeste, während er sich nur 2,9 Prozent an Turnover-worthy Plays leistete (Rang 10). Seit 2019 warf Jackson 76 Touchdown-Pässe, die über die First-Down-Marke hinausgehen – der zehntbeste Wert ligaweit und mehr als beispielsweise ein Joe Burrow oder Justin Herbert. Würde bei diesen beiden Superstars jemand von glorifizierten Runningbacks sprechen?

Ravens-Offense unterstützte den „Passer“ Jackson nicht


Natürlich, und das zeigen ja auch die Statistiken, war Jackson als Passer aber nicht perfekt. Seit seiner MVP-Saison 2019 hat Jackson über eine Saison hinweg die 75er-Markierung bei PFF nicht mehr geknackt. Aber wie es im Leben so oft der Fall ist, führt ein Mangel an Nuancen oder Kontext eben schnell zu Klischees. Welchen Kontext benötigen wir also, wenn wir über Lamar Jackson als Passer reden? Nun, sehen wir uns einmal die Ravens-Offense unter ihrem alten Offensive Coordinator Greg Roman in den letzten vier Jahren an. Und was wir dort finden, ist aus Passspiel-Sicht nicht vielversprechend.

Als eine der lauflastigsten Offenses der jüngeren NFL-Geschichte, lag die Ravens-Offense seit 2019 nur auf Rang 30 in Dropback-Percentage, wenn wir Garbage Time und Two-Minute-Drills herausrechnen. Das Team setzte zudem nur bei 37,2 Prozent aller Snaps auf 11-Personell (ein Runningback, drei Receiver, ein Tight End). In Romans letzter Saison, also der Vorsaison, waren die Ravens eines von nur vier Teams in der gesamten NFL, das bei weniger als 50 Prozent der Snaps auf 11-Personell setzte. Kurzum: Die Offense gab Jackson deutlich weniger Möglichkeiten, als Passer aus der Pocket heraus zu glänzen, als sie beispielsweise ein Burrow in Cincinnati oder ein Herbert in Los Angeles bekamen.

Hinzu kommt das Receiving-Talent um Jackson herum. An dieser Stelle muss man erwähnen, dass es die Ravens nicht versäumt haben, zu versuchen, um Jackson als Pfeiler des Teams herumzubauen. Sie investierten drei Erstrundenpicks während der 2018er- bis 2021er-Drafts in die Passempfänger Hayden Hurst, Marquise Brown und Rashod Bateman und gaben Star-Tight-End Mark Andrews einen großen Vertrag. Doch von den elf Spielern, die in den letzten vier Saisons in Baltimore mindestens 50 Targets bekommen haben, konnten nur Andrews und Brown überzeugen. Gerade Brown hatte eine gute Chemie zu Jackson, bevor ihn die Ravens nach Arizona tradeten.

Was ändert sich 2023 unter Monken?


Kombinieren wir die schwachen Leistungen seiner Receiver mit den Umständen seiner Offense, ist es mehr als respektabel, dass sich Jackson nach wie vor innerhalb der Top-15-Quarterbacks bewegt. Doch es erklärt eben auch, warum er in der öffentlichen Wahrnehmung als Passer oftmals nicht genug respektiert wird. Was also wird sich 2023 konkret ändern, dass Jackson die Diskussion um seine Person in neue Bahnen lenken kann? Nun, zunächst einmal wäre da Todd Monken, den die Ravens als neuen Offensive Coordinator verpflichtet haben. Er hat eine Vergangenheit als Passspiel-Experte, die Roman nie aufweisen konnte.

Als Monken für die Offenses der Cleveland Browns und Tampa Bay Buccaneers zuständig war, absolvierten beide Teams mehr als 55 Prozent ihrer Snaps in 11-Personell. Wir werden also mit Sicherheit auch in Baltimore vermehrt drei Receiver auf dem Feld sehen. Da die Stärke des Receiving-Corps in Baltimore aber eindeutig bei den Tight Ends (Andrews und die 2022er-Draft-Picks Isaiah Likely und Charlie Kolar) liegt, sollte es niemanden verwundern, wenn sich das nicht in vermehrter 11-Personell-Usage zeigt, sondern vielmehr in schlicht und einfach mehr Flexibilität bei der Positionierung auf dem Rasen.

Baltimore hat jedoch auch viel getan, um den Receiver-Room um Jackson herum zu stärken. Man könnte behaupten, die aktuelle Unit ist die beste, die Jackson in seiner Zeit in der NFL hatte. Bleibt Bateman fit, hat er für mich nach wie vor das Potenzial zu einem 1.000-Yard-Receiver. Odell Beckham Jr. hat bei seinem Super-Bowl-Run mit den Rams gezeigt, dass er nach wie vor ein verlässlicher WR2 sein kann. Und Rookie Zay Flowers bringt den Speed auf den Rasen, den die Ravens-Offense mit dem Abgang von Brown verloren hat.

2023 als entscheidendes Jahr für Jacksons Legacy?


Doch natürlich wäre es töricht, Jackson als Runner komplett aus dem Playbook zu nehmen. Seit er 2018 in die Liga kam, hat der 26-Jährige 142 Tackles gebrochen – die meisten aller Spieler, Runningbacks ausgenommen. Er ist ein riesiges Matchup-Problem für Defenses und hat wohl schon dem einen oder anderen Defensive Coordinator schlaflose Nächte bereitet. Ein größerer Fokus auf „Spacing“ und mehr 3-WR-Sets könnte sogar noch mehr Räume für Jackson eröffnen, gerade als Scrambler. Meine Vermutung wäre also, dass wir Jackson mehr und mehr als Scrambler sehen und die designten Runs ein wenig zurückgeschraubt werden.

Die Ravens werden sich vermutlich auch mehr auf Jacksons Lauffähigkeiten stützen, um in Spielen, in denen sie in Führung liegen, die Uhr zu „killen“. Bis diese Offense im September das erste Mal auf den Rasen läuft, wissen wir aber nicht genau, was sie auszeichnen wird. Die Aussage: „Weniger laufen und mehr passen“ passt jedoch zu den Personalentscheidungen, welche die Ravens in dieser Offseason getroffen haben. Diese geben Jackson das erste Mal seit 2019 wieder die Chance, selbst zu brillieren, wenn er fit bleiben kann. 2023 könnte daher ein entscheidendes Jahr für die Legacy des ehemaligen MVPs werden.


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