Dick Butkus verbreitete selbst unter gestandenen NFL-Spielern Angst und Schrecken. Credit: Imago / ZUMA Wire / Steve Lasker

Anfang Oktober ist mit Dick Butkus, dem ultimativen Middle Linebacker der Chicago Bears, mehr als ein Mensch gestorben. Mit ihm ging ein Stück einer alten Welt, die er geprägt hat wie kaum ein anderer. Mit seiner Härte, seinem Talent und seinem Mythos, die eines Nachrufs verdienen.

Die Szenerie vor den Fenstern seines Hauses passte in den letzten Jahren irgendwie so gar nicht zu ihm, gleichwohl sie Morgen um Morgen von fast unbeschreiblicher Schönheit war. Dieses so sonnige Paradies namens Malibu mit seinen langen Palmen, die in den Himmel ragen, mit den goldenen Stränden, der tief-türkisblauen Unendlichkeit des Pazifiks. Wie aber auch das große Wasser ist das Leben endlich, selbst für Giganten wie Dick Butkus. Am 5. Oktober wachte er hier in seinem Zuhause nicht mehr auf, seine letzten Stunden auf Erden waren ruhig und friedlich. Vielleicht so friedlich wie selten zuvor. Und als er das Leben in jenen Momenten hinter sich ließ, nahm er nicht bloß seine atemberaubende Geschichte mit, sondern auch ein ganz großes Stück National Football League.

Dick Butkus war der Prototyp eines NFL-Linebackers

Denn Richard Marvin Butkus war die NFL, er war American Football. Denkt man an einen traditionellen Middle Linebacker, an den Prototyp jener prestigeträchtigen Position mit verzogenem Gesichtsgitter und Wut in der Seele, dann kommt man nicht umher als den großen Bären aus Chicago vor sich zu sehen. Mit seinen funkelnden Augen, den von Tape und Bandagen verhüllten Klauen, dem dreckigen Pelz mit der Nummer 51 darauf. Es war selten nur der Matsch des eisigen Geläufs in der Windy City, der an Butkus klebte, es schien zudem durchtränkt mit dem Blut und der Angst seiner Gegner. Jene, die mit weit aufgerissenen Augen an die Seitenlinie zurückkehrten und von einem fauchenden, knurrenden Terror in der Mitte des Feldes berichteten, der es auf sie, den Ball und ihr Leben abgesehen hatte. So einfach war es bei derartigen Berichten die Korrelation zwischen dem Helden der Chicago Bears und ihren Namensgebern zu ziehen, aber laut der Kontrahenten langte selbst jener Vergleich mit einem echten Meister Petz für den Hall Of Famer nicht aus. „Ich würde lieber Eins-gegen-Eins mit einem Grizzly spielen“, sagte MacArthur Lane einst, der Butkus als Runningback der Packers oftmals begegnete.

Zitate wie diese mögen von manchem heute abgetan werden als die Geschichten alter Greise, welche eine Vergangenheit glorifizieren, die im Antlitz der heutigen Shiny-New-NFL immer weiter verblasst. Dabei haben genau diese Legenden die Liga groß und zu dem gemacht, was sie heute ist. Amerika liebt den Football aufgrund seiner Brutalität, aufgrund seiner Härte, wegen all den Dingen, die im Alltag nicht normal sind, wegen einem bestimmten Mythos um den Kampf starker Männer gegeneinander, Männer wie eben Dick Butkus einer war. So er denn überhaupt Mensch gewesen sein mag. „Er war ein Tier“, meinte Deacon Jones einmal, selbst einer der gefürchtetsten Athleten, die jemals an Sonntagen ihren Helm in der NFL aufsetzten. „Ein durchtrainiertes und wohlkonditioniertes Tier. Wann immer er dir einen Treffer verpasste, wollte er dich nicht bloß ins Krankenhaus befördern, sondern direkt auf den Friedhof schicken.“

Dick Butkus steht für eine NFL, die es nicht mehr gibt

Martialisch ist so etwas, vielleicht auch unfair, ebenso wie das Beißen, Spucken und Kneifen, für welches Butkus in den Scrums auf den Feldern der alten NFL berüchtigt war. Aber Gott wie ist es auch ehrlicher Football, wie er uns Normalsterbliche begeistert, wurde er doch von Menschen gespielt, die alle keine Kinder von Traurigkeit waren, die ohne Rücksicht auf Verluste ihrem Treiben frönten und dennoch oftmals gestandene Persönlichkeiten mit einem Höchstmaß an Integrität waren. Leider auch oft auf Kosten der eigenen Gesundheit. Damals schien jedes Spiel im Matsch und unter kaltem Regen gespielt worden zu sein, das Knacken der Helme beim Tackle konnte man trotzdem immer genau hören. Alles war roher, scheinbar einfacher, in seiner knochenbrecherischen Brutalität und Fokussierung auf das Wesentliche vielleicht sogar manchmal schöner als so manches Paradies, zumindest in den Augen etlicher nostalgischer Beobachter.

In Dick Butkus‘ Fall ist es zusätzlich so faszinierend, weil er neben all den Nickligkeiten zweifellos auch alles andere hatte, was es für einen Hall Of Famer braucht. Er hatte die Einstellung, sich auch noch mit beißenden Knieschmerzen durch jede noch so vergeudete Losing Season zu kämpfen. Er hatte die Wucht, jeden noch so kräftigen Runningback im Hole nach hinten zu rammen. Und er hatte die Spritzigkeit in Bruchteilen von Sekunden beide Seitenlinien zu erreichen, um die göttliche Wut seiner Fäuste sprechen zu lassen. Dabei scherzte ein Teamkamerad einmal über ihn, dass er für 100 Meter gute drei Tage brauchen würde.

Dick Butkus war mehr als einer rauer NFL-Schlächter

Und selbst wenn es so gewesen wäre, irgendwann kam Dick Butkus immer an. Dafür liebte er den Football einfach viel zu sehr, jenes Spiel, was ihm während seiner Karriere alles bedeutete und dass er nach seiner aktiven Zeit durch einen egozentrischen, verweichlichten Zeitgeist manchmal pervertiert sah. So tief diese Realisation auch manchmal an ihm nagte, wirklich aus der Bahn werfen konnte es den in Shakespeare bewanderten Schlächter nicht, fand er doch sein Glück in Hollywood, der Business-Welt und im Fernsehen, wo er zeigte, dass er eben viel mehr war als bloß das größte Monster und Monstern. Es ist dann aber wohl doch eben jene Rolle, die in Erinnerung bleiben wird, mit berühmten Zitaten wie diesem: „Ich würde nie jemand vorsätzlich verletzten wollen, es sei denn natürlich es wäre wichtig, wie… du weißt schon, ein Ligaspiel oder so.“

Diese Ligaspiele sind nun lange Vergangenheit und auch die NFL, in der sie gespielt wurde, wird wohl nie wiederkehren. Dick Butkus wird bleiben, in der Erinnerung unzähliger Menschen, sein Erbe wird inspirieren. Und irgendwie kann jemand wie er vielleicht doch nie ganz gehen. Man möchte sich vorstellen, dass sie weit oben im Himmel gerade doch noch ein Spiel angepfiffen haben. Und Dick Butkus noch einmal wie früher über die Line Of Scrimmage knurrt und zu einem letzten Tackle ansetzt.

Über den/die Autor/in
Moritz Wollert
Moritz Wollert
Moritz Wollert schreibt für TOUCHDOWN24 u.a. über die NFL. Für das monatliche Print-Magazin schreibt er u.a. die NFL History Artikel

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