Tremaine Edmunds (l.) spielt jetzt für die Chicago Bears und soll dort in die Fußstapfen von Roquan Smith treten.
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Nicht jeder Free Agent wird mit dem gleichen Ziel unter Vertrag genommen. Manche Neuzugänge sind schlicht und einfach für die Tiefe im Kader gedacht, andere sind sichere Starter mit einem soliden Floor, von denen sich der neue General Manager keine großen Leistungssprünge mehr erwartet – doch auch solche Spieler haben ihren Wert für NFL-Teams. Die interessantesten Verpflichtungen sind aber die von (jungen) Talenten, die ihr Spiel an neuer Adresse womöglich auf ein neues Level heben können. Wir von TOUCHDOWN24 werfen heute einen Blick auf vier dieser Boom-or-Bust-Signings in der NFL Free Agency 2023 und wie ihre Chancen stehen, bei ihrem neuen Team einzuschlagen.

 

Marcus Davenport, Edge, Minnesota Vikings


Wer auch immer Davenport am Ende unter Vertrag genommen hätte, das Team würde bei einem Spieler ins Risiko gehen, der es in seinen ersten Jahren in der Liga einfach nicht geschafft hat, auf dem Feld zu bleiben. Wenn er auf dem Feld stand, war Davenport aber eine echte Waffe. Seit seiner Erstrunden-Auswahl im Draft 2018 liegt Davenport in Sachen Pass-Rush-Win-Rate (17,8 Prozent) und Pressure-Percentage (13,9 Prozent) in den Top 20 unter allen Edge-Defendern. Und auch seine Laufverteidigung ist nicht zu unterschätzen, liegt er mit einem PFF-Grade von 82,1 in diesem Zeitraum immerhin auf Platz 16 aller Edge-Verteidiger.

Die Saints haben nicht umsonst im 2018er-Draft einen zusätzlichen Erstrundenpick abgegeben, um Davenport zu holen. Der heute 26-Jährige ist ein extrem talentierter Spieler. Das Problem: Davenport hat es bis dato nicht geschafft, auch nur in einer Saison bei mehr als 600 Snaps auf dem Feld zu stehen. Die Vikings hoffen nun, dass Davenport bei ihnen diese Pechsträhne endlich durchbrechen kann. Aus Team-Sicht ergibt die Verpflichtung durchaus Sinn, ist man sich mit Za'Darius Smith doch nach wie vor über eine Vertragsverlängerung uneinig. Sollte Smith die Wikinger wirklich verlassen, muss Davenport 78 QB-Pressures und 10 Sacks aus dem Jahr 2022 ersetzen – eine harte Aufgabe, doch für Davenport bei passender Fitness im Bereich des Möglichen.

Tremaine Edmunds, Linebacker, Chicago Bears


Vermutlich keine andere Free-Agent-Verpflichtung wird derart beäugt werden wie Edmunds, der in Chicago in die großen Fußstapfen von Roquan Smith treten muss. Edmunds hatte 2022 das dritthöchste PFF-Coverage-Grade aller Linebacker (86,9), forcierte bei starken 10,3 Prozent seiner Targets eine Incompletion und erlaubte nur vier explosive Plays (Rang 9 unter allen LBs). Er war zudem auch ein sehr sicherer Tackler, seine Missed-Tackle-Quote von 6,5 Prozent war die beste seiner jungen Karriere – ein weiteres Zeichen von Fortschritt von einem Football-IQ-Standpunkt aus betrachtet.

Mit seinen extrem langen Armen und seiner beeindruckenden Größe von 1,96 Metern hat Edmunds das Zeug, sich in Chicago nachhaltig als bester Offball-Linebacker der Liga zu etablieren. Dafür muss er aber die gezeigten Leistungen aus dem Vorjahr bestätigen und darf nicht in alte Muster zurückfallen. In seinen ersten Jahren in der Liga hatte Edmunds noch große Schwächen in Coverage gezeigt. Um seinen Monstervertrag (vier Jahre, 72 Mio. Dollar, davon 50 Mio. garantiert) zu rechtfertigen, muss Edmunds daher liefern – denn das Risiko muss angesichts der Zahlen im Vertrag nicht näher beleuchtet werden.

Andre Dillard, Offensive Tackle, Tennessee Titans


Die Offensive Line der Titans war die mit weitem Abstand schwächste Pass-Blocking-Unit im Vorjahr – etwas musste in der Offseason also passieren. Und tatsächlich trennte sich die Franchise nicht nur vom langjährigen Starter Taylor Lewan, sondern holte in Dillard zusätzlich einen jungen und vielversprechenden Ersatz, wenn auch für vergleichsweise viel Geld (drei Jahre, 29 Mio.). Der Vertrag ist aber so ausgerichtet, dass nicht viel Geld „up front“ gezahlt wird, die Titans sich also das Experiment ohne größere finanzielle Schäden für ein Jahr anschauen können.

„Experiment“ deswegen, weil Dillard – ein Erstrundenpick der Eagles 2019 – es nicht geschafft hat, sich einen Startplatz in Philadelphia zu erkämpfen. Er stand bei 677 Snaps zwischen 2019 und 2021 auf dem Rasen, in der abgelaufenen Spielzeit waren es nur noch 37 Snaps. Das wäre an anderen Standorten eine große „Red Flag“, doch die Eagles hatten letztes Jahr eine auf jeder Stelle exzellent besetzte O-Line. Oder um es anders zu sagen: Es gab schlicht keinen Platz für Dillard, der 2021 noch ein solides Pass-Blocking-Grade von PFF einheimste (71,1).

Die Trennung von den Eagles war wohl das beste, was Dillard passieren konnte. Bei den Titans hat er nun die Chance, zu zeigen, dass er nicht umsonst in der ersten Runde gedrafted wurde. Das Talent ist da, doch der Preis ist ebenfalls hoch für einen Spieler mit nur 714 Karrieresnaps in vier Jahren – Erstrunden-Vergangenheit oder nicht. Das macht Dillard zu einer der größten Wildcards vor der anstehenden Saison.

Kaden Elliss, Linebacker, Atlanta Falcons


Elliss ist ein Name, der wohl nur echten NFL-Freaks (und allen Saints-Fans) ein Begriff ist. Daher dürfte es so manchen überrascht haben, dass der 27-Jährige in der Offseason einen durchaus hoch dotierten Dreijahresvertrag in Atlanta unterschrieb (21,5 Mio. Dollar, über 10 Mio. garantiert). Elliss startet erst in Woche 10 des Vorjahres seine erste NFL-Partie, seine 484 Snaps aus den letzten acht Saisonspielen waren mehr als alle Snaps, die er in seiner Karriere zuvor auf dem Rasen stand, die 2019 als Siebtrundenpick begann. Seine Zahlen können sich sehen lassen: Von Woche 10 bis zum Saisonende hatte Elliss beispielsweise das höchste PFF-Grade aller Linebacker (89,9).

Mit seiner Größe von 1,91 Metern und seinem Gewicht von 108 Kilogramm ist Elliss der Prototyp eines Strongside-Linebackers, der in Zukunft womöglich noch mehr als Blitzer eingesetzt werden wird. Seine 80 Pass-Rush-Snaps waren die drittmeisten aller Offball-Linebacker seit Woche 10. Dieses Element seines Spiels gibt ihm einen besonderen Value, wenn er seine Pass-Rush-Moves in Atlanta noch verbessern kann. Der neue Saints-DC Ryan Nielsen war zuvor Defensive-Line-Coach in New Orleans und kennt Elliss' Stärken und Schwächen daher aus dem Effeff.

Er wird sich etwas dabei gedacht haben, derart viel Geld für einen bereits 27 Jahre alten Spieler auszugeben, der sein Potenzial bisher nur angedeutet hat. Sollte Elliss seine Form aus der zweiten Saisonhälfte halten, ist er zu diesem Preis ein echter Steal. Doch das Risiko lässt sich bei einem Spieler mit knapp 835 Karrieresnaps nicht wegdiskutieren. Elliss ist der Inbegriff einer Boom-or-Bust-Verpflichtung.


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