Der neue Head Coach Jonathan Gannon (M.) will mit seinem Coaching-Staff in Arizona durchstarten.
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Die Arizona Cardinals haben eine enttäuschende Spielzeit 2022 hinter sich. Von der einstigen Aufbruchstimmung nach der Auswahl von Kyler Murray im Draft 2019 ist nur wenig geblieben, in der Offseason musste sogar Offensiv-Guru Kliff Kingsbury seinen Hut als Head Coach nehmen. Er hatte es in vier Saisons in der Wüste nicht geschafft, eine konstante Offense um Murray herum zu bilden. Sobald Murray aber von seiner Knieverletzung zurückkehrt, könnte er 2023 wieder zu seinem alten Selbst zurückfinden. Grund dafür sind der neue Offensive Coordinator Drew Petzing und sein System, das Murrays Stärken besser nutzen dürfte als Kingsbury.


Die Arizona Cardinals haben nicht nur Applaus erhalten, als sie im Jahr 2019 Kyler Murray an erster Stelle im Draft auswählten. Aus heutiger Sicht ein No-Brainer, war die Auswahl damals durchaus umstritten, da die Franchise aus Phoenix erst ein Jahr zuvor mit Josh Rosen einen Quarterback in den Top 10 draftete. So schnell von einem derartigen Investment abzuweichen, war für viele Experten undenkbar, doch die Zeit hat Arizona recht gegeben. Rosen konnte nie die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllen und treibt sich seit Jahren in Practice Squads oder in Backup-Rollen herum.

Murray hingegen war, nach ein paar Problemen in seiner Rookie-Saison, in den Jahren 2020 und 2021 ein klarer Top-10-Quarterback. Seine PFF-Grades von 82,8 und 82,9 unterstreichen das. Gerade im Jahr 2021 war Murray nicht nur als Runner am Boden, sondern gerade als Passer eine Waffe. Er führte die Cardinals mit einer absurden Big-Time-Throw-Rate von 8,0 Prozent in die Playoffs und verließ sich dabei mehr auf seinen Arm als auf seine Playmaking-Fähigkeiten am Boden. Eine MVP-Auswahl erschien mehr und mehr in Reichweite. Dann aber kam das Jahr 2022.

Was passierte mit Murray 2022?


Eigentlich starteten Murrays Probleme bereits Ende der 2021er-Saison, doch in der 2022er-Spielzeit traten sie das erste Mal richtig auf den Plan. Auch gehandicapt von Verletzungen fiel Murray in alte Muster zurück, die er seit seiner Rookie-Saison eigentlich abgelegt hatte. Er hatte Probleme, selbst bei sauberen Pockets eine Anspielstation zu finden, sein PFF-Grade bei Clean Pockets (65,9) war das schlechteste aller qualifizierten Quarterbacks in der Liga. Hinzu kamen noch massivere Probleme bei den „instabilen“ Metriken wie Play under Pressure oder außerhalb der Pocket. Hier war Murray 2022 der zweitschlechteste NFL-Quarterback.

Was können wir aus diesen Zahlen lesen? 2022 war der absolute Tiefpunkt für Murray, wenn wir uns diese instabilen Metriken ansehen. Das bedeutet aber auch, dass wir, wie es bei diesen Metriken üblich ist, 2023 wieder ein wenig positive Regression sehen sollten. Wie stark diese ausfällt, hängt von Murrays Fitness ab – und vom neuen offensiven Scheme, das die Cardinals nach dem Abgang von Head Coach und Playcaller Kliff Kingsbury in der Offseason etablieren werden.

Kingsburys Offense war einfallslos


Denn in seinen bisherigen vier Saisons spielte Murray, trotz des Rufs seines Coaches als QB-Guru, in einem ziemlich ideenlosen System. Wie die meisten Offenses in der NFL liefen die Cardinals bei 49,6 Prozent ihrer Spielzüge 11-Personell (1 RB, 1 TE, 3 WR), doch wirklich unterscheiden konnte sich Kingsburys System bei der Usage von 10-Personell (1 RB, 0 TE, 4 WR). Die Cardinals spielten fast 19 Prozent ihrer offensiven Snaps in 10-Personell – deutlich mehr als die 1,8 Prozent, die 2022 der Ligadurchschnitt waren. Das ist an sich noch keine schlechte Sache, ganz im Gegenteil: Es bietet sogar die Möglichkeit, ein Trendsetter für die Liga zu sein, wenn System und Philosophie Defenses vor Probleme stellen.

Doch hier liegt der Hund begraben: In den letzten vier Spielzeiten lagen die Cardinals in Sachen EPA (Expected Points Added) pro Spielzug in 10-Personell nur auf Rang 11 von 17 Teams mit mindestens 25 solcher Spielzüge. Die NFL im Sturm zu erobern, sieht irgendwie anders aus. Ein Problem, das Kingsbury in seiner Zeit als Head Coach immer hatte, war, seinen Spielern positive Matchups zu verschaffen, indem er sie auf dem Feld herumbewegt wie Schachfiguren. DeAndre Hopkins, der Star-Receiver Murrays in den letzten Jahren, spielte fast ausschließlich als linker Receiver. Seit dem Jahr 2019 haben die Cardinals Motion seltener genutzt als alle anderen NFL-Teams.

Dabei ist es aus statistischer Sicht schon lange klar, dass es notwendig ist, die besten Spieler einer Offense auf verschiedenen Positionen aufzustellen, um Defenses vor Probleme zu stellen. Die Teams, welche Motion seit 2019 am häufigsten genutzt haben, sind die Kansas City Chiefs und die San Francisco 49ers – für viele die beiden besten NFL-Offenses in diesem Zeitraum. Sich einmal etwas näher mit den Playbooks von Andy Reid und Kyle Shanahan zu beschäftigen, würde wohl keinem Playcaller schaden, Kingsbury wäre da keine Ausnahme gewesen.

Schematische Änderungen unter Petzing


In dieser Offseason haben die Cardinals mit Jonathan Gannon einen früheren Defensive Coordinator (der Eagles) verpflichtet und damit den Innovationswahn in der Offense erst einmal gestoppt. Gannon holte sich Drew Petzing als Offensive Coordinator und Drew Terrell als Passspiel-Koordinator ins Trainerteam. Petzing war im Vorjahr der Quarterback-Coach für die Browns und kitzelte aus Jacoby Brissett ein erstklassiges Jahr heraus, bis er spät in der Saison durch Deshaun Watson ersetzt wurde. Terrell war die letzten drei Jahre Wide-Receiver-Coach in Washington, wo er sich in erster Linie um die Entwicklung von Terry McLaurin kümmerte.

Was wir 2023 von einem schematischen Ansatz in Arizona sehen werden, wird aber wohl stark von den Browns im letzten Jahr beeinflusst sein: Der Quarterback steht meistens under center, spielt basierend auf einem Wide-Zone-Laufspiel viel Play-Action und setzt regelmäßig auf Rollouts. Diese Taktik könnte sich Murrays Athletik und Geschwindigkeit zunutze machen und ihm zahlreiche leichte Würfe auf offene Receiver verschaffen. Murray wird immer noch hin und wieder aus der Shotgun spielen, aber nicht mehr 91 Prozent aller Snaps wie unter Kingsbury. Das macht auch das Leben für die O-Line einfacher, nicht nur für Murray selbst.

Unter Petzing sollten die Cardinals in Sachen Motion-Usage auch wieder den Anschluss an den Rest der Liga finden, bei ganzen 56,7 Prozent ihrer Plays haben die Browns die letzten drei Jahre Motion genutzt – immerhin der 11.-höchste Wert in der Liga. Zum Vergleich: Unter Kingsbury nutzten die Cardinals nur bei 37 Prozent ihrer Snaps Motion. Petzing versteht es auch, seine Receiver in vorteilhafte Matchups zu bringen. Amari Cooper lief im Vorjahr fast in einem 50/50-Split auf der rechten und linken Seite auf, gleiches könnte Petzing in Arizona mit Marquise Brown vorhaben.

Kehrt Murray 2023 wieder voll zurück?


All das gilt aber natürlich nur unter der Voraussetzung, dass Murray irgendwann im Verlauf der Saison von seiner Kreuzbandverletzung zurückkehrt. Derzeit wird davon ausgegangen, dass der 25-Jährige wohl zumindest einige Spiele der ersten Saisonhälfte verpassen wird. Ausgehend davon, dass Arizona dann schon nicht mehr im Rennen um die Division ist, werden die Cardinals es sehr entspannt mit ihrem Star-Quarterback angehen. Dennoch würde es Sinn ergeben, Murray bereits in dieser Saison im neuen System zu testen um erste „Growing Pains“ gleich aus dem Weg zu räumen.

Denn nächstes Jahr könnten die Cardinals – je nachdem, wie die Texans abschneiden – zwar Picks in den Top 5 oder Top 10 des Drafts haben. Das Armtalent und die Athletik sind bei Murray weiterhin vorhanden und es ist nur eine Saison her, dass er einer der besten Quarterbacks in der Liga und ein legitimer MVP-Kandidat war. 2023 könnte daher der Anlauf werden, um 2024 noch einmal komplett anzugreifen. Denn Murray jetzt aufzugeben, wäre aus Cardinals-Sicht ein fataler Move – und nicht im Ansatz mit der Rosen-Situation zu vergleichen, wie es so mancher Fan in dieser Offseason bereits getan hat.


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