Bryant Young sprach in der Hall of Fame Worte, die ewig nachhallen werden. Credit: Imago Images / UPI Photo / Aaron Josefczyk

Für Bryant Young sollte der 6. August 2022 einer der stolzesten Tage seines Lebens sein, schließlich wurde er in die Pro Football Hall of Fame aufgenommen und setzte damit seiner großartigen NFL-Karriere eine würdige Krone auf. Es war allerdings auch ein Tag, an dem Young sich und die gesamte Football-Welt an einen niemals schwindenden Schmerz erinnern sollte, in dessen Angesicht der Ruhm in ganz neuem Licht erscheint!

Auf und ab bebt Bryant Youngs mächtiger Brustkorb, keuchender Atem stößt aus seinem offenen Mund in die Luft hinaus. Schwer und kostbar ist sie, hält sie doch die muskulöse und schier unzerstörbare Maschine am Laufen, die der Defensive Tackle der San Francisco 49ers seinen Körper nennt. Über drei und ein halbes Viertel hat er ihn in die seiner Gegner gerammt, mit furchtbaren Schlägen seiner gewaltigen Arme Schmerzen verteilt und diese auch mit jedem Snap über sich ergehen lassen. Wenn die Hände der Offensive Lineman auf seinen Kopf niedergingen, ihre Finger ihn an Stellen trafen, wo die Pein besondere Höhen erreicht, er aus dem Nichts von menschlichen Zügen überrollt wurde. Jetzt, Mitte des vierten und letzten Abschnitts dieses sportlichen Dramas namens National Football League, in dem Young einen der furchterregendsten Gladiatoren mimt, gibt es wenig, auf dass er sich noch besinnen kann. Wenn er sich dem nächsten Play gegenübersieht, dann denkt er nicht mehr an taktische Vorsätze, an individuelle Strategie, er vergisst all das, was vor dem Spiel rational oder sinnvoll erschien. Nein, nur eines hält seinen müden Körper neben der so dringend benötigten Luft jetzt noch am Laufen. Etwas, das man nicht in Gold aufwiegen kann, so sehr man es auch versuchen mag.

Sein Herz.

Als Bryant Young am Samstag, den 6. August 2022, in der Pro Football Hall of Fame ans Rednerpult schreitet schlägt es noch immer in seiner Brust. Dieser große Muskel, der ihn neben all seinen athletischen Fähigkeiten durch 14 Jahre NFL, in 208 Ligaspielen und bis zu einem Super Bowl getragen hat. Es ist eine der Besonderheiten, welche Fans der San Francisco 49ers an ihrem Liebling niemals vergessen werden, dieser innere Drive eines sportlichen Kriegers, der ihn gottesfürchtig und sich seines Privilegs stets bewusst zu einem echten Vorbild machte. Sein Herz aber ist nicht mehr dasselbe, welches er noch zu seinen aktiven Zeiten in seinem Körper spürte. Es hat sich verändert, ist gealtert, vor allem aber trägt es eine Narbe, welche ihm eines der wohl furchtbarsten Leiden dieser Erde zugefügt hat. Die Gewissheit, dass er sein eigenes Kind zu Grabe tragen musste.

"Daddy, ich habe Kopfschmerzen"

"Daddy, ich habe Kopfschmerzen", erinnert Young mit tiefer Stimme an die Worte seines damals 13-jährigen Sohnes Colby, der ungleich seiner fünf Geschwister nicht bei der Hall Of Fame Induktion seines Vaters anwesend sein kann. Denn die Kopfschmerzen waren Vorboten eines Gehirntumors, den der Junge erst mit der reinen Stärke einer jungen Seele besiegte, nur um dann ungefähr zwei Jahre später wieder vor seinem Vater zu stehen. "Daddy, ich habe Kopfschmerzen", sagt er erneut und weist darauf hin, dass die furchtbare Krankheit abermals ihre gnadenlosen Fänge nach ihm ausstreckt. Dieses Mal soll der Krebs nicht wieder gehen, nicht allein. Er nimmt Colby mit sich in die Dunkelheit, jene, die fortan die Herzen seiner Familie bis zum heutigen Tage ummantelt.

Sie ist es auch, die Bryant Young auf der Bühne zu Tränen rührt, als er vom Tod seines Kindes erzählt. Als er von den schweren seelischen Schlägen berichtet, welche das Ende kindlicher Football-Träume oder die Sorge um den Akt des Ablebens in einem Teenager hervorrufen. Einem Kind, das sich mit dem Mut naiver Verzweiflung in die Therapie stürzt und unvorstellbare Dinge durchlebt. Die Momente und die Schmerzen, sie erscheinen alle wieder vor Bryant Young Augen, als er vor der großen Footballwelt eine Rede für die Ewigkeit hält. Dieser Berg eines Mannes, dessen muskulöse Arme noch im fortgeschrittenen Alter den berühmten goldenen Blazer der Hall of Fame an seine Grenzen bringen, laufen glitzernde Tränen der Trauer über die stolzen Wangen. Gott hätte seinen Jungen nach Hause geholt, sagt er, und sie werden trotzdem immer wieder seinen Namen sagen, damit er nicht in Vergessenheit gerät.

Bryant Young ist ein wahres Idol

Spätestens zu diesem Zeitpunkt wird deutlich, dass es bei der Hall of Fame oft um mehr geht als um reine sportliche Leistungen. Um mehr als Sacks und Titel und Statistiken. Der schlimme Schicksalsschlag ist es nicht, der Bryant Young zu einem Helden macht, es ist er selbst und wie er damit umgeht. Die reinste Form von Klasse, die er während seiner Rede und lange zuvor während seines Lebens als liebevoller Vater, treuer Ehemann sowie bodenständiges Idol vorlebt, ist etwas, was viele schon lange mit dem einstigen Star der University of Notre Dame verbanden. Nun kommt eine Dimension der Menschlichkeit dazu, welche ein Exempel für seine Weggefährten und jeden sein kann, der das Glück hatte, seinen Worten zu lauschen. Bryant Young, dieser mächtige Mann mit all seiner Verletzlichkeit, zeigt, worum es bei der Hall of Fame, beim Spiel American Football und ja, auch im Leben, geht. Er gibt mit seinen Worten eine Perspektive auf Dinge, die wirklich wichtig sind, und auf andere, die man nur als wichtig erahnt. Mut und Größe werden gerade im schnelllebigen Sportgeschäft oft missverstanden, werden Banalitäten und leerem Tun beigemessen.

Mit seinen aktiven Tagen lange hinter sich ist Bryant Young dagegen wie viele andere in Canton auch ein Beweis dafür, wie vergänglich das schillernde Heute ist, wie wertvoll und unmöglich festzuhalten. Seine Lebensgeschichte und die seines Sohnes ist aber gleichzeitig auch Mahnmal dafür, dass man jede einzelne Sekunde wertschätzen und tief im Herzen bewahren muss. Bryant Young hat dies getan, als Spieler, als Vater. „Ich trage Colby immer noch in meinem Herzen“, sagt er und klopft sich tief schluckend auf den großen Brustkorb. Dieser bebt erneut, so wie er es schon zu seinen großen Tagen im Candlestick Park immer tat, damals, als seine Gegner seine Wucht und das nächste Play gegen ihn fürchteten. Diese Tage sind nun lange vorbei, dank der Hall of Fame werden sie in gewisser Form aber für immer leben. So wie auch die Erinnerung an Young Sohn für immer weiterleben wird. An seinen Mut, seine Stärke. Und an ihn selbst.

An Colby.

Über den/die Autor/in
Moritz Wollert
Moritz Wollert
Moritz Wollert schreibt für TOUCHDOWN24 u.a. über die NFL. Für das monatliche Print-Magazin schreibt er u.a. die NFL History Artikel

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