Die Ära von Trey Lance bei den San Francisco 49ers endet äußerst unrühmlich. Credit: Imago Images / USA TODAY Network / Stan Szeto

Nun ist es offiziell: Die San Francisco 49ers beenden mit dem Trade von Trey Lance die Ära des jungen Top Picks in der Bay Area und setzen auch in Zukunft voll auf Late Round Phänomen Brock Purdy. Also Schwamm drüber über den folgenschweren Draft-Fehler? Nicht so schnell!

Glück im Unglück zu haben ist eigentlich eine gute Sache. Schließlich geht es ja darum, dass eine eigentlich schwierige bis unangenehme Situation letztendlich gar nicht so schwierig und unangenehm ist, wie zunächst befürchtet. Im besten Fall kann sie sich sogar als besser als erwartet herausstellen, wenn man es denn auf die Spitze treiben möchte. Besagtes Prinzip gilt auch in der National Football League, wo Franchises alle Nase lang in Unglücke hineinstolpern, nur um kurz darauf relativ unversehrt und eben manchmal sogar mit noch erhobenerem Haupt heraus zu stolzieren. Das dabei zunächst passierte Unglück gerät damit nicht selten in Vergessenheit. Manchmal völlig zu Unrecht.

Trey Lance geht, Brock Purdy bleibt

So in etwa geht es in diesen Tagen den San Francisco 49ers. Mit der gut verlaufenden Genesung von Signal Caller Brock Purdy, einen bis an die Zähne bewaffneten Kader und flächendeckend als vielversprechend erachteten Super Bowl Chancen läuft es ziemlich gut in der Bay Area. Die just erfolgte Trennung vom ehemaligen Top-Drei-Pick Trey Lance wird damit zwar nicht zur Fußnote, in Bezug auf die 49ers sehen damit aber nicht wenige das holprige Kapitel seiner Zeit in Kalifornien für immer beendet. Schwamm drüber, Mund abputzen, weiter machen. Und vor allem bitte weitergehen, hier gibt es nichts zu sehen. Diese Sichtweise wäre aber ein klein wenig zu einfach.

Denn auch wenn man Lance nun für einen Viertrundenpick an die Dallas Cowboys verschifft hat und damit einerseits den eigenen verfehlten Pick eingesteht, so wird andererseits eben dieser Fehler den 49ers noch sehr lange nachhängen. Natürlich können sie von Glück sagen, dass sie mit Siebtrundenpick Brock Purdy scheinbar einen absoluten Jackpot geknackt haben, die Picks, die man für Trey Lance in einem Uptrade im 2021er NFL Draft abgegeben hat, bringt das aber nicht zurück. Purdys im Vergleich zu anderen Werfern winziger Vertrag ermöglicht natürlich weiteren finanziellen Spielraum, dieser ist aber durch etliche High-End-Profis eigentlich auch schon ausgereizt.

San Francisco 49ers mit weit offenem Titelfenster

Wohl nur wenige Teams könnten sich Verträge für George Kittle, Trent Williams, Christian McCaffrey und Deebo Samuel neben einer mehr als potenten Defense um Nick Bosa leisten. Schon gar nicht, wenn man einen Top-Quarterback bezahlen müsste. Aber gut, so hatten die 49ers eben Glück im Unglück, so gern sich das Scouting Department auch für den Pick auf die Schultern klopfen mag. Letztendlich bleibt ein Siebtrundenpick immer ein blind abgefeuerter Dartpfeil, der nur in den seltensten Fällen an der Wand stecken bleibt. Wenn es irgendjemand gewusst hätte, das Purdy auch nur annährend die Performance aus seinem Rookie-Jahr abliefert, dann hätte man ihn schließlich früher genommen.

Jene Performance von Purdy war mehr als nur aller Ehren wert, sie entwickelte sich fast zu einem historischen Husarenstück. Nun aber muss sie wieder auf ein Neues bewiesen werden, es ist noch lange nicht gesagt, dass der Youngster ähnlich stark performt wie in Jahr Eins oder seine Verletzung einfach so makellos überstanden hat. Die Messlatte ist dagegen höher denn je und für Head Coach Kyle Shanahan und General Manager John Lynch tickt die Uhr. Nur wenige Verantwortliche dürfen sich in der NFL einen Fehler wie die Selektion von Trey Lance überhaupt leisten und hinterher mehr oder weniger einfach so weiter machen. Verletzungen spielten sicherlich eine Rolle, auch hervorgerufen durch ein laufintensives Schema, ebenso war die unterschiedliche Timeline zwischen Lances Entwicklung und dem Super Bowl Fenster der 49ers entscheidend. Was den Fehler aber irgendwie noch eklatanter macht.

Der Super Bowl muss her für die 49ers

Letzteres hätte man nämlich vor der Verpflichtung von Lance wissen können, der weitestgehend als Rohdiamant und „ein paar Jahre entfernt“ angesehen wurde. Dann hinzugehen und zwei weitere Erstrundenpicks für einen Spieler abzugeben, den man zwei Jahre darauf schon wieder fallen lässt, alles inmitten einer Zeit, in der es eigentlich „Super Bowl or bust“ heißt, ist in gewisser Form der „GOAT“ des Mismanagements. Auch wenn Brock Purdy weiterhin abliefert, die Niners brauchen eigentlich jeden einzelnen Chip, um ihn in den Playoffs in die Tischmitte zu schieben. Vielleicht fehlen genau diese Picks in einer kommenden Partie, in einer Saison.

So erfolgreich Shanahan in den letzten Jahren auch war, seine Zeit dürfte ultimativ daran gemessen werden, ob er einen Super Bowl gewinnt. Seit vielen Jahren gilt er bei manchem als über die meiste Kritik erhabenes Mastermind, mit jedem weiteren Fehltritt dürfte die Erinnerung an Trey Lance aber deutlicher werden. Dann könnte die Stimmung ganz schnell kippen und das Gerüst in San Francisco zu wackeln beginnen. Aber selbst wenn die Zukunftsmusik irgendwann erklingt, man könnte ja immer noch auf ein wenig Glück im Unglück hoffen…

Über den/die Autor/in
Moritz Wollert
Moritz Wollert
Moritz Wollert schreibt für TOUCHDOWN24 u.a. über die NFL. Für das monatliche Print-Magazin schreibt er u.a. die NFL History Artikel

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