Den NFL-Saisonstart haben sich Derek Carr und die Las Vegas Raiders ganz anders vorgestellt. Credit: Imago Images / USA Today Network / Steven Sylvanie

Erinnert sich noch jemand an die NFL Offseason, als die Las Vegas Raiders nach prominenten Neuverpflichtungen wie einer der großen Gewinner der spielfreien Zeit aussahen? Es fällt gelinde gesagt zunehmend schwerer. Und nach der Niederlage bei den Tennessee Titans zuckt die Hand in der "Sin City" bereits in Richtung Panik-Knopf!

Sechs Teams. 41 Jahre.

Mehr waren es in der NFL nicht, die nach drei sieglosen Spielen zum Saisonauftakt noch die Playoffs geschafft haben. Das sind gerade mal ein wenig mehr als drei Prozent. Wer für die Kompanie "Glas halb voll" stramm steht, der mag nun frohlocken, dass die Las Vegas Raiders immer noch eine Chance besitzen. Aber derzeit haben wohl selbst diejenigen, bei denen der Drink fast am Überlaufen ist, Probleme, die Zukunftsaussichten der "Silver and Black" als besonders rosig einzuschätzen. Im Gegenteil, nach der jüngsten Pleite in Tennessee kokelt es schon ordentlich an den Wurzeln des Raiders-Bäumchens. Und Feuerwehrmänner sind bisher weit und breit keine in Sicht.

Las Vegas Raiders stolpern zum NFL-Saisonstart

Ganz besonders bitter ist, das die Raiders eigentlich prädestiniert waren für den nächsten Schritt, schließlich schafften sie es schon im vergangenen Jahr in die Postseason und verstärkten ihren Kader in der Offseason doch signifikant mit großen Namen wie Chandler Jones und Davante Adams. Während letztgenannter zumindest die Endzone findet und beim NFL-Kickoff gegen die Chargers überzeugen konnte – was ganz sicher noch nicht genug ist - läuft es für den doch scheinbar dem Karriereherbst entgegen sprintenden Jones aber mal überhaupt nicht. Zusammen mit Maxx Crosby sollte er einen fulminanten Pass Rush bilden, wovon bisher aber bei gerade einmal einem Team-Sack in drei Partien nur wenig zu sehen ist.

Während diese beiden prominenten Raiders in diesen Tagen sicherlich ein klein wenig Wüstenwind um ihre Nasen spüren werden, dürfte dieser nur ein laues Lüftchen sein im Vergleich zu dem Orkan, der Neu-Head-Coach Josh McDaniels entgegen wehen wird. Tatsächlich schlägt das Anemometer schon mächtig aus, bat Vegas-Owner seinen Übungsleiter doch nach der Pleite in Nashville noch vor der Postgame Press Conference zu einem langen Meeting hinter verschlossenen Türen. Kleine Vermutung: Er wollte seiner Führungskraft dabei nicht bloß auf die Schulter klopfen und Mut machen.

Ein wenig ärgert sich der jüngste Davis vielleicht auch schon über sich selbst, dass er überhaupt dem langjährigen Patriots-Coordinator die Schlüssel für seinen mit personellen Pferdestärken ausgestatteten Kader übergeben hat. Als erster Mann an der Bank und außerhalb des Schattens von Bill Belichick konnte sich McDaniels bisher nämlich noch überhaupt gar nicht beweisen in der NFL. Seine erste Station vor Jahren bei den Denver Broncos endete im Desaster, jetzt steht bei ihm mit den jüngsten Niederlagen eine Bilanz von nur fünf Siegen aus seinen letzten 25 Partien als Head Coach zu Buche.

Heftige Kritik an Josh McDaniels und Derek Carr

Das allein wäre schon eine bittere Pille und ließe Davis im VIP Raum in so mancher Erklärungsnot. Sie wird allerdings noch größer, wenn Aussagen seines Head Coaches aus der letzten Woche dazu kommen. Nach dem höchsten verspielten Vorsprung der Franchise-Geschichte gegen die Arizona Cardinals sinnierte McDaniels: "Wir haben eine Menge, aus dem wir lernen können und wir müssen anfangen, zu lernen und gleichzeitig zu gewinnen." Da war aber doch etwas mit der Bilanz seines Teams aus der letzten Saison. Ja, genau, die haben da schon die Playoffs geschafft und zehn Spiele gewonnen. Da kommt so eine Aussage vom Lernen nicht besonders gut an. Im Gegenteil, sie geht vollkommen nach hinten los.

Während McDaniels, der sich mit der Laufspiel schwertut und keine echte offensive Identität für seine Mannschaft im Sinn zu haben scheint, sicherlich bisher kein Lösungsfaktor für die Raiders ist, seine Spieler machen es dem Neuen auch nicht gerade leicht. Es ist schließlich nicht die Schuld eines Coaches, wenn sich sein Star-Tight-End in einem engen Spiel drei Drops leistet, wie von Darren Waller vorgeführt. Es ist vielleicht auch nicht ganz seine Schuld, dass sein neuer Quarterback namens Derek Carr auch mit einem quasi All-Star-Team auf den Skill Positions immer noch auf der einen Stufe festhängt, auf der er eigentlich schon seine ganze Karriere hockt. Auf einer sehr guten, zeitweise richtig guten, aber eben keiner, auf welcher die wirklichen Unterschiedsspieler stehen. Jene, die Titel gewinnen oder auch nur daran denken können.

Carr ist bei Weitem nicht der einzige Spieler, bei dem man in diesen Tagen jene vor allem intrinsische, mentale Qualität vergeblich sucht. Adams kam als großer Heilsbringer, Jones mit einem Super Bowl Ring im Gepäck, Waller oder auch Hunter Renfroe sind potenzielle Game Changer. Sie müssen es alle wieder sein, damit sich der sonst eher mittelmäßige Kader auf einem höheren Niveau einpendeln kann. Es scheint aber bisher vielmehr so zu sein, als ob die Raiders Stars unter dem gestiegenen Druck höherer Erwartungen leiden. Was am Ende einfach nicht der Fall sein darf.

NFL-Postseason für Raiders zur Zeit ein Wunschtraum

Neben den mentalen oder vielleicht auch manchmal physischen Blockaden einiger Involvierter mal abgesehen, gibt es auch noch sehr banale Gründe für den Fehlstart der Raiders. Da wäre der Ausfall von Denzel Perryman, einem der Herzstücke der Defense, dessen Fehlen ein ohnehin schon löchriges Linebacking Corps noch weiter entblößt und der zum Beispiel gestern gegen Derrick Henry sicherlich geholfen hätte. Die Offensive Line befindet sich ebenfalls in einer Findungsphase und die Aufstellung ändert sich förmlich so schnell, wie ein Dealer in Las Vegas "nichts geht mehr" sagen kann.

Noch ist es für die Raiders nicht ganz so weit, für sie geht natürlich trotz aller prozentualen Chancen noch etwas in dieser NFL-Saison. Die große Frage muss aber eben sein, wie viel denn? Ihren Kader haben sie mit einer Prämisse aufgestockt und diese lautete, dass man um den Super Bowl mitspielen möchte. Davon ist man derzeit in etwa so weit entfernt, wie Josh McDaniels vom großen Vince Lombardi. Aber hey, sechs Mannschaften haben es in 41 Jahren ja immerhin noch geschafft, ihre Saison zu retten. Die letzten, die es schafften, waren die Houston Texans 2018. Sie beendeten ihre damalige Spielzeit tatsächlich mit elf Siegen.

Ein Szenario, mit dem die Raiders sicher leben könnten, auf das man aber im Casino nicht Haus und Hof verwetten sollte.

Über den/die Autor/in
Moritz Wollert
Moritz Wollert
Moritz Wollert schreibt für TOUCHDOWN24 u.a. über die NFL. Für das monatliche Print-Magazin schreibt er u.a. die NFL History Artikel

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