Deshaun Watson hätte bestimmt gern, wenn die NFL nur noch nach vorne schaut. Credit: Imago Images / USA Today Network / Nathan Ray Seebeck

Fast ganze zwei Jahre brodelt der Skandal um Deshaun Watson an den Ufern des reißenden Flusses NFL, beschäftigte und schockierte, verwunderte und erzürnte die Massen. Mit abgelaufener Sperre ist der Star-Quarterback der Cleveland Browns wieder im Ligaalltag angekommen und trifft zum Auftakt mit den Houston Texans direkt einmal auf seinen vorigen Arbeitgeber!

Unter normalen Umständen müsste man außerhalb von Houston und Cleveland schon lange suchen, bis man ein paar verlorene Seelen findet, die sich brennend für das NFL Spiel am Sonntag zwischen den Browns und den Texans interessieren würden. Zusammen bringen es die beiden Teams schließlich nur auf fünf Siege aus 22 Saisonspielen, die Texans scouten mit nur einem Erfolg eh schon länger die kommenden Nachwuchstalente im NFL Draft und die Browns haben bestenfalls noch Außenseiterchancen auf die Playoffs. Spielerisch verspricht die Partie bei allem Respekt also nicht unbedingt ein Leckerbissen zu werden. Der Aufmerksamkeit in diesen Tagen wird dies aber keinen Abbruch tun, denn es gibt in besagtem Spiel einen ganz besonderen Umstand: Ein gewisser Herr namens Deshaun Watson kehrt nämlich zurück auf die große NFL-Bühne.

Großer NFL-Skandal geht in die nächste Runde

Watson? Deshaun Watson? Da war doch was… genau, es ist jener Deshaun Watson, der vor ungefähr zwei Jahren von zahlreichen Frauen der sexuellen Belästigung und Nötigung beschuldigt wurde, was ihn nicht nur seinen Posten bei den Houston Texans kostete, sondern auch sein Image vom jungen, aufstrebenden NFL-Star in Verruf brachte. Zumindest bei den meisten, denn die Cleveland Browns pfiffen auf die vermeintlich schlechte Publicity oder das Wertesystem anderer und statteten Watson nach erfolgreichem Tauschhandel mit einem Megavertrag aus, der ihm an die 230 Millionen US-Dollar bezahlen könnte. Der gigantische Skandal inklusive Big-Shot-Anwälten, großen Statements und öffentlicher Empörung gipfelte nach etlichen außergerichtlichen Einigungen in einem Händeringen mit der NFL, die sich nicht sicher war, wie lange sie Watson für seine Aktivitäten abseits des Feldes denn bestrafen könne. Am Ende kam man auf die wundersam seltsame Anzahl von elf Spielen, was uns in diese Woche befördert und plötzlich einem vermeintlichen Allerwelts-NFL-Spielchen Anfang Dezember höchste Brisanz verleiht.

Interesse wie Empörung werden in etwa mit der gleichen Geschwindigkeit in den Orbit des ligaweiten Gewissens schießen, wie damals der Aufschrei über den Skandal selbst oder die etwas kurz ausgefallene Strafe verschwand. Das ist einerseits gut so, andererseits wirft es natürlich einmal mehr Fragen im Umgang mit derlei ethisch angehauchten Themen auf. Fragen, die sich vor allem eine NFL und eine Öffentlichkeit, letztendlich aber natürlich auch jeder selbst beantworten muss. Sie ändern aber an der unmittelbaren wie wohl auch an der mittel- bis langfristigen Realität nur wenig. Fakt ist, dass Deshaun Watson ab Sonntagabend 19 Uhr mitteleuropäischer wieder ein spielendes Mitglied der NFL-Gemeinde sein wird. Dies wurde ligaintern, juristisch und institutionell beschlossen und ist damit vorerst final, wie auch immer man das finden möchte oder was auch immer noch irgendwann einmal unter dem dunklen Schleier dieses Dramas ans Tageslicht treten mag.

Clevelands großes Hoffen auf Deshaun Watson

Vor diesem Hintergrund und den bereits viel diskutierten moralischen Aspekten jener Geschichte ist es eventuell an der Zeit, die sportliche Seite der Medaille einmal zu sehen. Denn so sehr sie lange zu Recht in den Hintergrund gerückt war, so sehr wird wohl diese mit jedem Pass, mit jedem Spiel und mit jedem dahingehenden Tag die in der öffentlichen Wahrnehmung bestimmende sein. Und hier sieht es für die Cleveland Browns, so mancher wird sich ob der Verpflichtung von Watson ins Fäustchen lachen, gar nicht so gut aus wie allgemeinhin vorher angenommen. Die aktuelle NFL Saison wird aller Voraussicht nach und abgesehen von einem kleinen sportlichen Wunder nicht in den Playoffs enden, dafür holte man wohl bis jetzt unter dem durchaus solide spielenden Watson-Ersatz Jacoby Brissett ein oder zwei Siege zu wenig.

Das wäre eigentlich kein Problem, wenn es denn an Brissett oder der Quarterback-Position gelegen hätte. Tat es aber eigentlich nicht, viel mehr vergeigten vor allem die mitunter hocheingeschätzte Defense als auch die Special Teams mehrere Partien, womit in dieser Form nur wenige Experten gerechnet hatten. Das Clevelander Motto war eigentlich klar: Wir haben einen herausragenden Kader und brauchen nur noch auf Deshaun Watson zu warten, damit uns dieser in Richtung Super Bowl führen kann. Sollte Watson ähnlich stark bei den Browns aufspielen, wie er es damals zeitweise in Houston getan hat, dann gibt er seiner neuen Mannschaft sicherlich einen Push, sogar einen durchaus signifikanten, wenn man sein natürliches Talent im Hinterkopf behält. Dieses allein reichte aber auch schon in Texas nicht dazu, sein eigenes Team zu einem echten Titelanwärter zu machen, zumindest nicht dauerhaft.

Ist Watson das letzte Stück im Browns-Puzzle?

Jetzt trifft er in Cleveland sicherlich auf einen Kader, in dem einige der besten Spieler der gesamten NFL auf ihrer jeweiligen Position auflaufen, man denke an Myles Garrett, Nick Chubb oder auch die Offensive Line als Gruppe. Er trifft auf ein Team, bei dem vor nicht allzu langer Zeit noch alles an seinem richtigen Platz schien, wo punktuell trotzdem noch mit starkem Talent nachgebessert wurde und dem man eigentlich einen sicheren Platz in der Gruppe der NFL-Contender zutraute. Nun stellt sich entweder heraus, dass der Coaching Staff um Kevin Stefanski vielleicht seine zu Beginn absolut verdienten Lorbeeren nicht mehr ganz bestätigen kann oder aber dass der Kader eben einfach nicht so gut ist, wie man das immer dachte. Beide Fälle wären sicherlich keine optimalen Voraussetzungen, um für Deshaun Watson wieder in der NFL Fuß zu fassen und seinen sportlichen Motor wieder ans Laufen zu bringen.

Andererseits ist der nicht im engsten Playoffkampf stattfindende Rest der Saison vielleicht ja auch ein Segen für Watson. So kann er sich an seine Teamkollegen gewöhnen und mit einem Auge auf die kommende Spielzeit einen richtigen Grundstein legen, der nicht durch äußerlichen Druck und Querelen abseits des Feldes zunichte gemacht wird. Denn bei allem physischen Anforderungen, die psychische Komponente innerhalb des Locker Rooms der Browns wird eine extrem heikle Geschichte werden. Darum gucken ja am Sonntag sicherlich so viele zwei Mal hin, weil man wissen will, ob da etwas Besonderes passiert oder wie die Fans reagieren könnten. Ganz beim Sportlichen kann man irgendwie doch nicht bleiben, es hängt letztendlich zumindest in gewisser Weise zusammen. Aber gut, dieses Bett hat man sich in Ohio selbst gemacht und viel Schlaf wird man darin nicht finden. Zumindest für den Moment, denn irgendwann wird ein Spiel wie das vom kommenden Sonntag auch wieder einfach nur eines von vielen sein.

Was einerseits zu begrüßen wäre, andererseits aber auch irgendwie befremdlich erscheint…

Über den/die Autor/in
Moritz Wollert
Moritz Wollert
Moritz Wollert schreibt für TOUCHDOWN24 u.a. über die NFL. Für das monatliche Print-Magazin schreibt er u.a. die NFL History Artikel

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