Deshaun Watson wartet noch auf die endgültige Sperre der NFL. Credit: Imago Images / UPI Photo / Aaron Josefczyk

Der nervenaufreibende Skandal um Deshaun Watson geht in die nächste Runde. Eine unabhängige Kommission sieht sechs Spiele als Sperre für den Quarterback der Cleveland Browns als angemessen an, ein Vorschlag, gegen den die NFL bereits Einspruch eingelegt hat. Was aber vielleicht einen längst schon ins Rollen gekommenen Prozess nicht mehr aufhalten kann.

Im amerikanischen Sport gibt es so manche mystische Geschichte von einem Fluch. Für den vielleicht berühmtesten muss man einen Ausflug in die Welt des Baseballs machen und sich an den "Curse of the Bambino" erinnern – den Fluch des Bambino. Der Spitzname vom großen Babe Ruth liegt dieser Fabelgeschichte zugrunde, die junge New Yorker und Bostoner Baseball-Fans schon früh im heimischen Kinderzimmer von ihren Vätern erzählt bekommen. Ruth war einst ein Star-Pitcher für die Boston Red Sox und gewann mit ihnen reihenweise Meisterschaften Anfang des 20. Jahrhunderts. Bis der Besitzer der "roten Socken" ein Broadway-Musical für seine Freundin finanzieren wollte und den Top-Werfer dafür an die New York Yankees verschacherte. Ein verbitterter Ruth begründete fortan als transzendenter Schlagmann den Aufstieg der New Yorker zum Rekordmeister, das Musical floppte und in Boston wartete man fast einhundert Jahre auf den nächsten Meistertitel. Eine Geschichte, wie sie der Sport eben schreibt.

Der Bogenschlag in den Kosmos der National Football League und zum eher eiförmigen Ball ist hier sicherlich ein wenig länger als ein Justin Tucker Field Goal und wirklich an besagten athletischen Hokus Pokus mögen auch nicht viele Fans glauben. Trotzdem hat eigentlich jedes Team, jede Franchise, derartige Legenden zu erzählen, nicht nur um ihren Unterhaltungswert Willen sondern weil in ihnen etwas anderes, etwas Metaphysisches steckt. Letztendlich sind die Geschichten mehr als bloße Sportmärchen, sie sind Parabeln dafür, wie wir alle uns den Sport, den wir lieben, wünschen. Wir möchten ihn rein, frei von Gier und Frevel, von zu verachtender menschlicher Niedertracht, welche zu oft schon das alltägliche Leben vergiftet und doch bitte nicht auch noch unsere „Pastime“ beeinflussen soll. Natürlich darf es in diesen ersehnten Heldensagen auch Widersacher geben, böse Kräfte, die es zu besiegen gilt, um eben jene ethische Wunschvorstellung des Richtigen zu erreichen. Womit die Bühne frei wäre für Deshaun Watson.

Cleveland verkauft mit Deshaun Watson seine Seele

Die Nachricht, die eigentlich in sich eine andere war als jene, die viele in ihr sahen, verbreitete sich zuletzt wie ein Lauffeuer in den sozialen Medien, auf Online-Portalen und jeglichen anderen Newsfeeds. Sechs Spiele Sperre sollten es nur sein für Mister Watson, den Quarterback der Cleveland Browns, dessen Karriere aufgrund von etlichen sexuellen Übergriffen und den damit verbundenen Anklagen eigentlich schon in Trümmern schien. Moralisch tut sie es immer noch, schließlich bestätigte Ex-Judge Sue L. Robinson in ihrer Rolle als externe Prüfinstanz eine Verletzung der ligainternen Verhaltensregeln sowie die Notwendigkeit einer Sperre für den Mann mit dem goldenen Arm. Von Freispruch und mildernden Umständen, die viele zunächst in dem Ruling sahen, gibt es allerdings keine Spur. Die NFL ging nämlich zum Urteil in Berufung und wird so man etlichen Medienberichten Glauben schenken mag eher eine Sperre über eine ganze Saison anstreben, wenn nicht sogar auf unbestimmte Zeit.

Die furchtbare Episode großen Sportgeschäfts mit all ihren Abgründen hat dabei viele Dimensionen, die von Watsons eigenem Gewissen über das Handeln wie Nichthandeln der Liga bis hin zum Modus Operandi der Spielergewerkschaft NFLPA reichen. Eine besonders interessante weil geradezu besorgniserregende ist jene der Cleveland Browns, die eine exponierte Rolle im ganzen Skandal innehaben. Diese haben sie sich aufgrund eigener moralischer Entsicherung nicht nur redlich verdient, sie haben sie sich sogar auf vermeintlich gewiefte wie auch kostspielige Art und Weise proaktiv erworben. Das allein ist schon ein tiefer Fall für eine Franchise, deren Historie ohnehin schon von einem in den Augen vieler Fans verbrecherischen Einschnitt erschüttert wurde. Es stellt gleichzeitig aber noch weitaus mehr in Frage und beschmutzt dabei eine der faszinierendsten sowie beeindruckendsten Traditionen, welche die National Football League eigentlich ihr Eigen nennen darf.

Aktionismus der NFL hat monetäre Gründe

Von bescheidenen Anfängen in einer verpönten Konkurrenzliga über die Wahnsinnserfolge Otto Grahams bis hin zu den noch heute nachhallenden Märschen eines Jim Brown ist Cleveland ein ganz besonderes Stück NFL, was sich nicht zuletzt in nunmehr Jahrzehnten der bitteren Erfolglosigkeit manifestiert hat. Die Liebe ihrer Anhänger blieb den teilweise hundselenden Verlierern dabei fast immer sicher, selbst in sieglosen Spielzeiten und bei geradezu flächendeckender Hoffnungslosigkeit. Nicht wenige dieser Fans sind es nun, die in ihrer Reaktion auf die Causa Watson das Maß an Objektivität beweisen, welches ihrer Treue in der Vergangenheit nur selten innewohnte. Etliche Anhänger distanzieren sich von ihrem neuen Quarterback und machen ihrem Ärger über die Einstellung ihrer Teamoberen mehrfach in verschiedensten Foren Luft. Es ist ein Stück dringend benötigte Menschlichkeit in einem Business, das immer weniger davon zu kennen scheint.

Bester Beweis dafür sind jene, die lediglich den sportlichen Erfolg am Horizont kommender Spielzeiten sehen. Die Sperren von vorneherein eine Sinnhaftigkeit absprechen und Augen wie Ohren vor dem lauten Aufschrei eines zumindest verurteilungswürdigen Verhaltens verschließen. Jene in sich wohl dürstende Sehnsucht nach Siegen findet ihren Nährboden vor allem in einer Liga, die genau dieses Wertesystem seit Jahren proklamiert. Die bestimmt auch nicht wirklich ein Interesse daran hat, ein nur selten sichtbares Gewissen mit nun entschlossenem Handeln zu beruhigen, welches letztendlich doch nur durch Zahlen unter einem markanten schwarzen Strich auf Jahresabschlüssen getrieben wird. Vielleicht ist es dafür wie auch für das mittelfristige Ansehen der Cleveland Browns schon zu spät. Die Zukunft wird es zeigen.

Eine der Lehren, welche Geschichten wie jener vom Fluch des Bambino nämlich in sich tragen, ist die Gewissheit, dass gewisses Handeln zumeist nicht geahnte Konsequenzen nach sich zieht. Das es etwas gibt, was manche Schicksal nennen mögen, dass über die reine Vorstellung von Rationalität hinausgeht. Getreu nach dem, was viele Fans sich von den Spielen, die sie lieben, wünschen, möchten wir glauben, dass dieses Omen zumindest eine kleine Idee von Gerechtigkeit hat…

Über den/die Autor/in
Moritz Wollert
Moritz Wollert
Moritz Wollert schreibt für TOUCHDOWN24 u.a. über die NFL. Für das monatliche Print-Magazin schreibt er u.a. die NFL History Artikel

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