Der Holding Call, der bei Super Bowl LVII die Gemüter erhitzte, sorgt für reichlich Gesprächsstoff. Credit: Imago Images / Icon Sportswire / Andy Lewis

Der jüngste Super Bowl war das von vielen erwartete große Spektakel, kurz vor dem Ende allerdings ereignete sich ein Play, das Fragen für heute wie morgen aufwirft. Mit dem Holding Call, welcher den Sieg der Kansas City Chiefs über die Philadelphia Eagles begünstigte, begannen die Schiedsrichter unfreiwillig eine Diskussion, welche die NFL längst hätte führen sollen!

Vielleicht erinnert sich mancher noch an jenen Moment in jungen Jahren, als der Sport dem man so gerne zuschaut ein kleines Stück seiner Unschuld verlor. Als man mit gebannten Augen gen Spielfeld blickte, um den Angehimmelten, die daheim von bunten Postern lächelten, bei der Ausübung ihrer unglaublichen Fähigkeiten beizuwohnen. Stellten sie doch das sportliche Ideal dessen dar, was sich ein kindliches Herz sonst nur in Helden wie Spiderman oder dem dunklen Ritter ausmalen konnte. Das Ballett, welches jene Profis vollführten, wurde damals aber zum ersten Mal unterbrochen von einem scheinbar kleinen Moment, der zuerst gar nicht der Rede schien, hätte er nicht die gesamte Vorführung zum Stillstand gebracht. Nach Verwunderung, einem ratlosen Blick in Richtung des Vaters, bebten sie dann in Richtung des Kindes Ohren. Die Rufe des Zorns über einen Mann namens Schiedsrichter, der in seinem ohnehin glücklos gewählten Outfit nun noch ein wenig trostloser aussah. Zumindest in den Augen der geifernden Masse.

Es gibt wohl so manchen heutigen NFL- oder auch Sportfan im Allgemeinen, dem jenes Szenario einmal zu jener Zeit passiert ist, als man sich noch die ganze Woche auf Limonade und Stadionwurst freute, waren doch auch sie makellos in der Vorstellung eines jungen Lebens. Die Wut über einen Schiedsrichter ist etwas, was zum Sportalltag dazugehört wie der Ball zum Spiel, es geht irgendwie nicht ohne. Zumindest nicht, wenn man so ziemlich jeden begeisterten Anhänger eines Teams fragt, dass natürlich in seiner bittersüßen Geschichte schon etliche Male von höheren Mächten und böswilligen Strippenziehern um unzählige Meisterschaften gebracht wurde, die man eigentlich hätte gewinnen können. Fans der Philadelphia Eagles kennen dieses flaue wie brodelnde Gefühl in der Magengegend sicherlich nur allzu gut, schließlich gehört es für einige von ihnen ganz sicher zur Erinnerung an den jüngsten Super Bowl LVII gegen die Kansas City Chiefs dazu.

Wirbel um das Holding von James Bradberry

Die Situation ist schnell erklärt: Bei Gleichstand haben die Chiefs dritten Versuch und acht Yards zu gehen tief in der Hälfte der Eagles. Der Pass von Patrick Mahomes zu Juju Smith-Schuster fällt knapp zwei Minuten vor Schluss in der Endzone incomplete zu Boden. Es sieht so aus, als ob Kansas City sich mit einem Field Goal begnügen muss und Philadelphia die Chance zum Ausgleich oder sogar zum Sieg bekommt. Dann aber liegt eine gelbe Flagge auf dem Feld. Eagles-Corner James Bradberry soll Smith-Schuster bei dessen Route, die er nach innen startet und dann nach außen fortsetzt, gehalten haben. Automatischer First Down für die Chiefs, die dann die Zeit runterlaufen lassen können und schließlich mit nur noch ein paar Sekunden das spielentscheidende Field Goal von Harrison Butker bejubeln.

"Es war Holding, also haben sie es gepfiffen", gibt Bradberry nach dem Spiel zu. "Ich habe sein Trikot gezogen. Ich hoffte, dass sie ein Auge zudrücken würden." Weil sie es nicht taten und etliche Menschen die Situation komplett konträr zu Bradberry einschätzten entbrennt noch während des Spiels eine wütende Diskussion um besagtes Play. Den gesamten Super Bowl über ließen die Schiedsrichter ähnliche Situationen verstreichen, das Spiel sei verschoben, Elvis sei noch unter uns, es waren noch die harmlosesten Auswüchse menschlicher Emotion. Eben jene ist nur vollkommen verständlich, wenn man als Spieler oder Fan ein ganzes Jahr oder vielleicht sogar ein Leben auf diesen einen Moment gehofft hat und dann etwas passiert, was mit dem hauseigenen Gerechtigkeitssinn nicht zu vereinbaren ist. Wut, Trauer, Unverständnis – sie alle haben durchaus ihre Berechtigung.

Nicht nur Eagles-Fans schäumen vor Wut

Genau wie die Kritik am Pfiff selbst. Ehrlich gesagt kann man ihn letztendlich wohl so oder so sehen, wie so unendlich viele andere Pfiffe in der Geschichte der NFL oder sogar eben in nur diesem Spiel. Das zwitschernde Netzwerk ist voll von Momentaufnahmen wo vermeintlich ein Spieler mit einem Foul davonkam oder Ähnliches. Bei allem Anspruch auf Perfektion, diese Situationen werden sich einfach nie vermeiden lassen und es wird auch nicht passieren, dass sich nach dem Spiel niemand mehr darüber aufregt. Dafür geht es um zu viel, dafür sind einzelne Plays einfach zu kontrovers und zu schwer in der Hitze des Gefechts zu deuten. Die Tatsachen der Super Bowl Nacht 2023 sollten aber zumindest bei der Liga einen erneuten Anstoß geben, der zum Nachdenken über die Replay- und Challenge-Regeln der NFL anregt. Denn diese sind weder zeitgemäß noch ausgereift

Spiel um Spiel vergeuden Schiedsrichter bei manchmal banalen First Down Plays etliche Minuten am Monitor, nur um dann bei bestimmten Plays wie zum Beispiel Holding in den letzten zwei Minuten das Ganze dem Referee im Moment zu überlassen. Wenn eine Challenge besonders eng ist, sagen wir mal ein Spieler tritt mit seinem Schuh direkt an die Spielfeldbegrenzung oder bei einem anderen bewegt sich der Ball während des Catches auch nur eine halbe Umdrehung, dann vergeht ebenfalls zeitweise eine Ewigkeit mit unendlich vielen Super-Slow-Motions, bis man dann doch endlich zu einem Ergebnis kommt. In den Regeln heißt es so schön, dass die Schiedsrichter eine "conclusive evidence" brauchen, um den Call auf dem Feld zu revidieren. Sprich sie müssen einen eindeutigen Beweis haben, um eine Entscheidung zu ändern. Ist eine Entscheidung, für welche man ein dutzend Mal ein und dieselbe Bewegung hin und her laufen lassen muss, eindeutig? Wäre sie das nicht schon beim ersten Sichten der verfügbaren Bilder?

Die NFL sollte über Reformen nachdenken

American Football ist schon so ein Spiel mit viel zu vielen Pausen, was in gewisser Weise so ja auch gewollt ist vom Fernsehen und der Liga. Keine Action auf dem Feld bedeutet, dass die Kasse in Form von Werbung klingelt oder man noch einen weiteren überflüssigen Sideline-Reporter im Al-Capone-Anzug mit durchschleifen kann. Oder eben das weibliche Pendant dazu samt sechsköpfiger Expertenrunde im Studio. Aber gut, zurück zum Video-Replay. Ein klares Zeitlimit für Challenge-Entscheidungen würde dem Spiel mit Sicherheit gut tun, genauso wie eine konsequentere Nutzung der Sky Judge Technik, bei welcher ein externer Schiedsrichter von außen der Crew auf dem Feld mitteilt, wenn eine grobe Unsportlichkeit verpasst wurde. Wir sehen es zuhauf in der Fußball-Bundesliga, wo der VAR nach eben jenem Prinzip abläuft. Dass die Fußballer den Sinn des Ganzen nicht verstehen und nicht begreifen, dass auch er die menschliche Komponente nicht komplett aus dem Spiel nehmen kann, ist der Technik nicht vorzuwerfen.

Vielmehr sollte man als NFL anerkennen, dass die 1999 eingeführten Challenge Regeln heute mit verbesserter, schnellerer Technik eine Überarbeitung benötigen. Gleichermaßen könnte man darüber nachdenken, jene auf alle Art von Fouls anzuwenden. Wenn zum Beispiel ein Spieler einen anderen kurz vor Schluss mit einem Karate-Kick umgrätscht, bevor dieser den Quarterback sacken kann, dann sollte das doch auch revidierbar sein. Oder soll ein Spiel, ja vielleicht sogar der Super Bowl, davon entschieden werden? Obwohl es die ganze Welt sehen konnte? Hin oder her, Diskussionen wie jene über das Holding oder Nicht-Holding von James Bradberry mitsamt der anschließenden Diskussion werden sich auch dadurch nicht verhindern lassen. Man könnte den Sport aber ein stückweit klarer, transparenter und letztendlich besser damit machen sowie gleichzeitig den Schiedsrichtern den Rücken stärken. Ob dieses Interesse an der Integrität und dem reibungslosen Ablauf eines Spiels natürlich im vordersten Interesse der NFL stehen, das sei einmal dahingestellt.

Die Unschuld von einst, sie würde so oder so aber wohl nicht mehr zurückkommen…

Über den/die Autor/in
Moritz Wollert
Moritz Wollert
Moritz Wollert schreibt für TOUCHDOWN24 u.a. über die NFL. Für das monatliche Print-Magazin schreibt er u.a. die NFL History Artikel

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