Young vs. Stroud im NFL Draft 2023. Credit: Imago Images / USA Today

Vor der College Saison präparierten sich die Talentsucher und Scouts für die Debatte, ob nun Bryce Young oder C.J. Stroud eine bessere Prognose für die anstehende Profikarriere ausgestellt werden kann. Bis dahin waren die Lager ziemlich aufgeteilt zwischen Alabamas Heisman Gewinner 2021 und Ohio States Star-Quarterback. Beide zeigten sich in diesem Jahr von ihrer besten Seite. NFL Mock Drafts geben uns aktuell zu verstehen, das Rennen sei zugunsten von Young bereits gelaufen. Doch schauen wir erstmal auf die tatsächlich gezeigten Leistungen und erstellen ihre jeweiligen Profile, ehe die Draft Season so richtig Fahrt aufnimmt. Noch steht nämlich überhaupt nichts fest. 

 

In meinen Scouting Notizen bewerte ich Quarterbacks nach mehreren Kategorien und gewichte diese unterschiedlich. Denn während Attribute, wie Athletik oder Armkraft als isolierte Anlagen nur schwer auf dem nächsten Level verbessert werden können, sieht es bei Pocket Präsenz oder Spielverarbeitung ganz anders aus. Hierbei ist jedoch auch entscheidend, wie die bisherige Entwicklungskurve in diesen Bereichen verläuft. Schwieriger liegt der Fall zum Beispiel bei Genauigkeit und Ball Placement. Rühren die Probleme vor allem von unsauberen Wurfbewegungen und Passmechaniken, ist es zwar aufwändig, aber unter Umständen trainierbar. Sitzen die Probleme tiefer, ist meistens bei den Profis nicht mehr viel herauszuholen. 

 

Quarterbacks bewerten

Ihr bemerkt, die Beobachtung und Bewertung von Quarterbacks ist die schwierigste aller Positionen und dieser Autor ist noch weiter davon entfernt, die Wahrheit zu kennen als die NFL Teams, welche selbst öfter in der Vergangenheit daneben gegriffen haben. Dennoch möchte ich einen Vergleich zwischen Bryce Young und C.J. Stroud versuchen. 

 

Athletik und Physis

Young ist relativ fix auf den Beinen und kann damit innerhalb und außerhalb der Pocket manövrieren, wenn er den Druck spielerisch erkennt und den Spielzug durch Scramblings und selbstbewusstes Klettern in der Pocket verlängert. Das erlaubt ihm auch wiederum, häufig von einer sauberen Plattform aus zu werfen. Weil er mit kurzen schnellen Schritten und auch sonst recht beweglich daherkommt, kann er sich schon wieder in eine Wurfbewegung bringen, wo andere erst ihre Beine wieder richtig setzen müssen. 

Stroud sieht bei Bootlegs oder ungeplanten Spielzug-Verlängerungen ebenfalls sehr natürlich aus. Mit kurzen und präzisen Schritten weicht er Pass Rushern aus, ohne dabei die Pocket verlassen zu müssen. Das verschafft ihm Zeit für saubere Würfe in Drucksituationen, weil er dafür nicht nach außen scrambeln muss. 

Als reiner Passer besitzt Stroud exzellente physische Anlagen. Er ist robust gebaut und hat viel Kraft im Ober- und Unterkörper, womit er alle Würfe machen kann. Da bietet er alles auf, was man von einem zukünftigen Franchise Quarterback verlangt. 

Alabamas Young hat hier eindeutig Defizite. Wesentlich kleiner und vor allem schmaler passt er nicht in das übliche Beuteschema der NFL Teams. Sein Armtalent ist davon allerdings überhaupt nicht beeinträchtig. Flatternde Würfe in tiefe Ebenen rühren von Defiziten her, auf die wir gleich noch eingehen und die leichter abzustellen sind, als Young plötzlich in die Länge wachsen zu sehen.  

 

Pocket Präsenz und Spielverarbeitung

Bryce Young scheint einen sechsten Sinn für herannahenden Druck zu besitzen. Am College wirkte er stets wie der Mann, der die Zügel in der Hand hält. Beeindruckend ist vor allem sein Verhalten, bei dem er in den Druck hinein nach vorne klettert. Davon können sich manche NFL Quarterbacks noch eine Scheibe abschneiden. Er ist echt eine coole Socke. Das kann man nicht anders sagen. 

Gleichzeitig bearbeitet er das Spiel sehr schnell, berechnet blitzschnell Chancen für gute Passmöglichkeiten, nimmt den Checkdown, wenn seine ersten Reads nicht offen sind, nimmt aber dennoch das Risiko, wenn es nötig wird, wie mehrere erfolgreiche Two-Minute-Drills beweisen. Young ist tough, zieht nicht zurück und trotzdem hat er kein Problem damit, bei einem offensichtlich verlorenen Play den Ball einfach ins Seitenaus zu werfen.  

C.J. Stroud manipuliert nach dem Snap mit seinen Augen die gegnerischen Passverteidiger wie ich es bei keinem zweiten in diesem Jahrgang gesehen habe. Safeties und Linebacker wirken teilweise wie angewurzelt, wenn er beginnt, sie mit einfrierenden Blicken festzunageln. Er manövriert sich dabei auch sicher durch die Pocket. Mit schnellen kurzen Schritten behält er stets den Blick nach vorn und scannt das Feld selbstbewusst nach Passoptionen ab. Das erlaubt ihm saubere Würfe anzubringen. Andere bekommen das nicht hin, obwohl sie im Prinzip nur mit dem Druck vor sich und nicht mit der Defense dahinter beschäftigt sind. 

Ist Stroud jedoch selbst zu sehr damit beschäftigt, Gegner zu manipulieren und friert dann manchmal beim Druck komplett ein. Da kassiert er Sacks, die andere Quarterbacks vermeiden. Hieran lässt sich arbeiten. Das ist aber eine deutliche Schwäche im Vergleich zu Young. 

 

Genauigkeit

Mit Zip, viel Gefühl oder purer Kraft kann Young seine Pässe überall auf dem Feld punktgenau anbringen. Das gelingt ihm auch, wenn er aus der Bewegung wirft, weil er mit seinen schnellen Beinen zügig wieder in eine stabile Wurfbewegung kommt. 

Es gibt hier aber noch Entwicklungsspielraum. Während er seinen ehemaligen Receiver Jameson Williams immer punktgenau anwarf, um diesem die Möglichkeit zu geben, aus kurzen und mittleren Würfen mehr Yards herauszuholen, half Young auf tiefen Ebenen seinen Receivern weniger.

Nicht nur versucht es Young seltener, den Ball tief zu werfen. Seine Genauigkeit leidet darunter mehr als bei Stroud und oft sind seine Pässe dabei eher unter- als überworfen, was auch gefährlicher für Turnover ist. 

Vor allem ist dieses Problem an unsauberen Passmechaniken festzumachen, die aber nur zum Vorschein kommen, wenn der Ball tiefer geworfen werden muss. Die Frage ist erlaubt, ob Young seine sichere Plattform bewusst aufgibt, um mehr Kraft in seine Würfe zu legen, weil diese ansonsten fehlen würde. Und da wären wir dann auch bei seiner fehlenden Körpergröße. Bei seinem Pro Day wird man ihn bewusst tief werfen lassen und dabei seine Plattform korrigieren. So lässt sich leicht herausfinden, woran das Problem festzumachen ist und ob es an der Veranlagung oder falscher Technik liegt. Letzteres wäre zu beheben. Ersteres kaum. 

Stroud hingegen trifft seine Receiver aus jeder erdenklichen Lage, sofern er seine Füße sauber setzt. Er wirft dann nicht nur genau, sondern bringt seine Mitspieler mit antizipatorischen Würfen in die Situation, mehr Yards nach dem Catch zu erzielen. 

Bei ihm ist das Manko bei flatternden Bällen sehr leicht auszumachen. Er geht zu flapsig mit dem Setzen seines Vorderfußes um. Das hat auch weniger etwas mit seinem Umgang in Drucksituationen zu tun. Es wirkt tatsächlich unkonzentriert oder vielmehr liegt es daran, dass er sich zu sehr auf andere Dinge seines Spiels konzentrieren muss und diesen Teil dann vernachlässigt. 

Sowohl Young als auch Stroud haben hier verbesserungswürdige Fähigkeiten in Sachen Ball Placement und Accuracy. In den nächsten Monaten werden Scouts versuchen herauszufinden, wieviel davon mit Training verbessert werden kann und was, vor allem im Fall von Young, eben nicht. 

Armtalent

Heutzutage sprechen Scouts nicht mehr von der reinen Armkraft, sondern vom Armtalent, um einen Quarterback näher zu beschreiben. Es gibt schließlich unterschiedliche Wege, um den Ball von Punkt A nach Punkt B zu werfen. Dies kann durch pure Kraft, aber auch mit Gefühl oder einer sehr hohen Eigendrehung, dem Zip, geschehen. 

Young ist sehr schnell in seiner Wurfbewegung. Was ihn aber vor allem auszeichnet, ist seine Qualität, den Ball mit verschiedenen Armstellungen immer noch sauber anbringen zu können. Mit dieser Anpassungsfähigkeit kann er auch bei fehlender sauberer Plattform, vor allem auf kurzen und mittleren Ebenen, präzise Pässe anbringen. Damit gleicht er sogar Defizite in Körpergröße und purer Kraft aus. Abgesehen von den angesprochenen Problemen bei tiefen Bällen. 

Außerhalb der Pocket zeigt Stroud zwar auch, dass er in der Lage ist, den Ball noch abzuwerfen. Hierin beweist er allerdings weit weniger Sicherheit als Young. Dafür kann er sich mit reiner Kraft aus der Affäre ziehen und hat auch sonst eine Vielzahl an Möglichkeiten, den Ball anzubringen. Würfe mit viel Zip oder Ballgefühl gibt es in den dafür geeigneten Situationen zu sehen. 

Insgesamt fühlt sich Stroud allerdings wesentlich wohler, wenn er aus einer stabilen Pocket herausarbeiten kann. Würfe an die Gegebenheiten anzupassen und sich damit aus der eigenen Komfortzone herauszuholen, ist aktuell keine Stärke von ihm. Hier werden Coaches ihn zukünftig mehr fordern müssen. Young deutet hier schon jetzt mehr Potential an. 

 

Weitere Eigenschaften

Die weiteren Eigenschaften bilden das berühmte Salz in der Suppe und entscheiden häufig darüber, ob ein Spieler auf dem nächsten Level durchstarten kann. In den USA als Intangibles beschrieben, sind es die weichen Kriterien, die sozialen und charakterlichen Fähigkeiten.

Das große Problem hierbei. Von dieser Seite des Atlantiks erhalten wir eine sehr geringe Zahl an Informationen darüber. Und dennoch muss es der Anspruch von gutem Scouting sein, auch in diesem Bereich so viele Infos wie möglich zu sammeln. Denn auch in den USA ist es nicht leicht, hierin an valide Daten zu kommen. 

Beide Head Coaches loben die Arbeitseinstellung von C.J. Stroud und Bryce Young gleichermaßen und werden nicht müde ihre Führungsqualitäten anzupreisen. Wie sehr die beiden Quarterbacks doch in ihren Augen gewachsen seien über die letzten Jahre. 

Solche Bekundungen sagen uns jedoch nur etwas über den Charakter eines Spielers aus, wenn diese auf Anfrage ausbleiben. Dann hat der Coach scheinbar Sorge seinen eigenen Ruf zu opfern, wenn er seinen Spieler für etwas lobt, was er offensichtlich nicht ist. Hier können wir immerhin festhalten. Stroud und Young sind nicht auffällig im negativen Sinne. 

Wie es aber tatsächlich um ihre Aufnahmefähigkeiten im Studium von Tape, um ihre zügige Umsetzung von neuen Trainingsmethoden, um ihre Mentalität und den Charakter bestellt ist, das gilt es in Interviews und persönlichen Treffen vor dem Draft herauszufinden. 

Young vs. Stroud

Wer hat nach dieser Aufstellung und den vorhandenen Informationen aktuell die Nase vorn? Die Experten sind sich einig, dass Bryce Young der erste Quarterback ist, der im Draft geholt wird. Und ich muss sagen, auch bei mir liegt er vorne. 

Das Rennen an der Spitze ist aber knapper als Mock Drafts es andeuten und darin sind sich ebenfalls viele Media Scouts einig. Letztendlich werden, aller Voraussicht nach, die Houston Texans an Nummer Eins, sich mit allen infrage kommenden Quarterbacks treffen und erst dann eine Entscheidung treffen. 

Der dann den Ton angebende General Manager und Head Coach werden ihre Präferenzen einbeziehen. Suchen sie einen Spielmacher, der sich vor allem im Umgang mit Druck und auch außerhalb der Struktur mit kreativen Plays auszeichnen kann, sind sie bei Young an der richtigen Adresse. Bevorzugen sie den sicheren Game Manager, der zwar sein Spiel nicht besonders würzen kann, dafür aber innerhalb der Struktur wie ein Schweizer Uhrwerk funktioniert, dann wird die Wahl auf Stroud fallen. Sucht ein Team stattdessen einen relativ rohen Playmaker, der jedoch das größte Entwicklungspotential aller Quarterback-Prospects aufbietet, dürfte Anthony Richardson von Florida ein plötzlicher Aufsteiger dieser Draftklasse sein. 

So wenig er auch auf dem Feld bisher gezeigt hat, es wird ein Team geben, dass sich in seine enormen Anlagen verliebt. Und wenn es die Texans sind, geht Richardson an Eins.

Momentan muss sich GM Nick Caserio erstmal entscheiden, welcher Coach die Trainerbank 2023 drücken soll. Dann wird eine Entscheidung für einen Quarterback getroffen. Nicht heute. 

Über den/die Autor/in
Philipp Forstner
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Philipp Forstner
Autor / Redakteur
Philipp schreibt bei TOUCHDOWN24 u.a. über den College Football

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